Ohlstadt – Super Dimona TTCII5 ist startbereit. Jürgen Kusch steigt in das zweisitzige Motorflugzeug der Sportfliegergruppe Werdenfels auf dem idyllisch gelegenen Flugplatz Pömetsried im Loisachtal, drei Kilometer nördlich von Ohlstadt (Kreis Garmisch-Partenkirchen). Der 70-jährige Pilot ist Flugbereitschaftsleiter der Luftrettungsstaffel in Oberbayern. Er koordiniert Beobachtungsflüge wegen akuter Waldbrandgefahr. Heute aber setzt er sich nur zu Demonstrationszwecken in die Kanzel – denn an diesem sonnigen Frühsommertag stuft der Deutsche Wetterdienst den Gefahrenindex im Gebiet um Zugspitze und Murnauer Moos nur mit drei auf der fünfstufigen Skala ein.

„Ab Index 4 müssen wir fliegen“, sagt Kusch. Aber nicht aus eigener Entscheidung, sondern offiziell beauftragt durch die Katastrophenschutz-Abteilung der Regierung von Oberbayern. Dann fliegen Kusch oder einer seiner zehn Mitstreiter mit amtlichen Luftbeobachtern – hauptsächlich Feuerwehrler, Mitarbeiter des Katastrophenschutzes und Förster – über Bayerns Wälder hinweg. Die Piloten machen das ehrenamtlich. Aus Enthusiasmus und Begeisterung fürs Fliegen. Eine Win-win-Situation für Behörden und Piloten: Die Regierung von Oberbayern zahlt nur den Einsatz der Maschine, und die Piloten kommen an die Flugstunden, die sie benötigen, um ihre Fluglizenz zu behalten.

„Bei uns herrscht gerade ein bisserl Ruhe“, sagt Kusch – ohne Bedauern, denn was Waldbrände derzeit in anderen Regionen Deutschlands anrichten, lässt erschaudern. Wenn der gebürtige Murnauer nach Brandenburg blickt, wird ihm ganz mulmig: „Da brennt es gerade heftig. Und in den Wäldern sind Militärgelände mit gelagerter Munition, die explodieren kann. Das ist katastrophal da oben, da leben wir hier im Paradies.“ Kusch koordiniert neben den Einsätzen aus Ohlstadt auch die Stützpunkte Erding, Mühldorf, Pfaffenhofen/Ilm, Oberpfaffenhofen (Kreis Starnberg), Eichstätt und Königsdorf (Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen). Für Eichstätt und Pfaffenhofen hatte die Regierung bereits fürs Wochenende Luftbeobachtungsflüge angeordnet. Und auch von Ohlstadt aus stiegen sie gestern wieder zur Kontrolle auf.

Grundsätzlich sieht es aber in Oberbayern noch gut aus – oder besser gesagt: saftig grün aus der Luft. „Wir haben momentan die Seen randvoll, die Flüsse randvoll – das ist kein Vergleich zum Norden“, sagt Kusch. Der viele Regen im Mai hat den Wäldern gutgetan. Anders sieht das im Norden Bayerns aus. In Unterfranken standen erst vergangene Woche zwei Wälder in Flammen, ebenso an der Grenze zu Thüringen, wo wegen Hitze und anhaltender Trockenheit zwei Hektar Wald niedergebrannt waren.

Während in den Vorjahren die Waldbrand-Beobachtungsflüge bereits im März/April gestartet sind, haben die ersten Flüge im Oberland erst vor zehn Tagen begonnen. Wenn die Anordnung der Regierung kommt, kann Jürgen Kusch sofort auf seine Leute zugreifen: „Einige von ihnen sind Rentner wie ich. Andere sind Freiberufler.“ Geflogen wird, wenn es am heißesten ist – also zwischen 14 und 16 Uhr. Vier Motormaschinen besitzt die Sportfliegergruppe Werdenfels. Sie verfügen über Digitalfunk – und wenn die Beobachter einen Brand entdeckt haben, geht die Maschine, die sonst auf Höhe der Berge fliegt, bis auf 100 Meter runter. Sofort wird die Leitstelle informiert: „Wir können aus der Luft die Feuerwehr zielgenau an die Brandstelle führen. Wir sehen, welche Wege ungehindert passiert werden können.“

Im vergangenen Jahr konnte auf einem Beobachtungsflug ein Großbrand in Eschenlohe verhindert werden. Es war während des G7-Gipfels in Schloss Elmau Ende Juni 2022. „Da war die ganze Region eigentlich Sperrgebiet“, erinnert sich Kusch. Die Waldbrand-Beobachter waren trotzdem unterwegs. „Wir flogen über Eschenlohe und haben plötzlich Rauch bemerkt.“ Als Luftbeobachter war zufällig ein Feuerwehrmann dabei – „und der wusste, wo die Vorratsbehälter für das Wasser sind“. Die fürs Löschen so wichtigen Tanks standen nämlich in Garmisch-Partenkirchen. Über Digitalfunk konnte der Feuerwehrler Kontakt mit seinen Leuten am Boden aufnehmen und die Löschbehälter nach Eschenlohe lotsen, erzählt Kusch. Hubschrauber der Bundespolizei, die am Flugplatz Ohlstadt stationiert waren, konnte die Tanks anhängen und in der Loisach auffüllen. „Der Brand ist praktisch im Keim erstickt worden“, freut sich Kusch. Wäre die Bundespolizei nicht vor Ort gewesen, hätte man einen Hubschrauber aus Schleißheim anfordern müssen.

Auch wenn die Piloten privat fliegen, melden sie entdeckte Feuer oder Unfälle. Sie haben auch Berghänge im Visier wegen drohender Hangabrutschungen. Sogar bei Vermisstenfällen können die Piloten eingesetzt werden, wenn sie vom Landratsamt beauftragt werden. „Am Boden schwärmt die Feuerwehr aus und läuft zu Fuß. Was die mit 50 Leuten absuchen, das decke ich in fünf Minuten aus der Luft ab“, sagt Kusch, der im Alter von 14 mit dem Segelfliegen begonnen und mit 17 den Luftfahrerschein in der Tasche hatte – „noch vor dem Führerschein!“.

Brenzlige Situationen beim Fliegen sind Kusch erspart geblieben. Richtig Angst hatte der frühere Entwicklungsingenieur bei BMW nur bei einem beruflichen Termin in Indien: Mit einer motorisierten Rikscha ging es nachts 40 Kilometer über unbefestigte Straßen. Die entgegenkommenden Autos waren unbeleuchtet. „Ich hab’ gedacht, wenn mir hier etwas passiert, kümmert sich keiner um dich. Du bist einfach von der Bildfläche verschwunden“, erzählt er. Aber beim Fliegen kennt er keine Angst und sagt augenzwinkernd: „Das Gefährlichste beim Fliegen ist der Weg mit dem Auto zum Flugplatz.“

Quellenangabe: Münchner Merkur Nr. 138 v. 19.06.2023